Der
Heilige Geist ist Weiblich
Auszüge
aus einem Gespräch mit dem ehemaligen Priester, jetzigem
Autor und Religionssoziologen Dr. Adolf Holl
W: Wie kamen Sie darauf, eine Lebensgeschichte der Heiligen
Geistes zu schreiben?
H: Weil der Heilige Geist, also die dritte göttliche
Person, wie im Glaubensbekenntnis gebetet wird, für die
Kirchenobrigkeit eigentlich ein Problem darstellt.
W: Wieso ein Problem?
H: Wenn man sich die Kirchengeschichte anschaut, sieht man,
dass sich der Heilige Geist hauptsächlich unter den
Querköpfen, den Ketzern, den Oppositionellen, den
Künstlern, den Frauen-Mystikerinnen, also den schrägen
Vögeln herumgetrieben hat und eben nicht im Vatikan. Ich
mag ihn gern den Heiligen Geist, weil ich ihn als
Schriftsteller ja auch brauche, da er die Kreativität
vermittelt. Da kommt einem ein guter Einfall und man denkt
sich: Das kommt nicht von mir, das kommt von anderswoher.
W. Sie wollen ihn also ein bisschen rehabilitieren?
H: Ein bisschen rehabilitieren und ein bisschen den
LeserInnen ein Prinzip vor Augen führen, das wir vielleicht
ganz gut brauchen können in der heutigen Zeit. Das Prinzip,
dass die Befriedigung der Bedürfnisse, auch wenn es
Luxusbedürfnisse sind, nicht alles ist, sondern dass es
etwas Geistiges mitten in der Welt gibt, eine Haltung der
Neugier, der Freude am Entdecken von Zusammenhängen, das
man nicht mit den Händen greifen kann. Ich habe versucht,
dieses Deistige, das Spirituelle, den heutigen Menschen
näher zu bringen - das heisst, dass Religion nicht nur
stures Herunterbeten von Glaubensbekenntnissen sein muss,
sondern dass Religion auch etwas mit Einfallsreichtum, mit
Freude an Formulierungen, mit Nachdenklichkeit,
Eigenständigkeit, vielleicht auch etwas mit Eigensinn zu
tun haben kann.
W: Viele suchen das aber heute in Sekten.
Das verfolge ich seit 20 Jahren mit einer freundlichen,
nicht mit einer gehässigen Miene. Ich weiss, dass es sich
hier um Menschen handelt, die ihrer Lebensführung ein
Lichtlein aufzusetzen versuchen, damit nicht alles in der
Trivialität der Konsumgesellschaft erstickt.
W: Hat der Heilige Geist einen Anfang?
H: Ja, er hat einen Anfang. Zum ersten Mal taucht er ein
bisschen nach Christi Geburt auf, in den ältesten Texten.
Da heißt er "ruach" - das heisst Luft in Bewegung. Das ist
für mich das Geburtsdatum des Gottesbrausens. Ende habe ich
noch keines, er ist recht gut unterwegs. Gefunden habe ich
ihn nicht nur bei Querdenkern und Frauen, sondern auch bei
den Dichtern: bei Nietzsche, bei James Joyce und bei Rainer
Maria Rilke.
W: Sie betonen die Frauen: Ist also nicht Gott eine Frau,
sondern der Heilige Geist?
Ja, der Heilige Geist ist weiblich. Schon in den
semitischen Sprachen ist das Wort weiblich. Da sind die
Frauen gefordert.
aus: Die ganze Woche Nr.22/98